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„Das Märchen vom letzten Gedanken“
von Edgar Hilsenrath

ISBN: 349221505X

Der große Roman vom Leidensweg
des armenischen Volkes

Ein Buch, dass ich schon oft verliehen
habe, aber manchmal begleitet von den
Worten: „ Tut mir leid, so etwas kann
ich nicht lesen, das ist mir zu brutal“
schnell wieder zurück bekommen
habe.
Das machte mich jedes Mal sehr
traurig, denn ich habe mit diesem Buch
etwas Neues über den Sinn des
Lebens gelernt, was ich bis dahin mit
meinem Verstand nicht erfassen
konnte. Hilsenrath erzählt die
Geschichte eines armenischen
Mannes, der ausgewandert ist, sich
erfolgreich sein Leben aufgebaut hat.



In Sicherheit, in Amerika. Doch dann
wird sein Volk vernichtet. Und der
Mann kehrt zurück in seine Heimat.
Und er beschreibt so eine Art tiefe
Dankbarkeit die dieser Mann dafür
empfindet, das er seine Sicherheit
verlassen hat, das er es geschafft hat,
zu seinem Volk zurückzukehren, zurück
ins Leid, in die Vernichtung.

Irgendwie wusste er, das die
Vorstellung vom Leid für ihn noch
schlimmer wäre, als die direkte
Erfahrung. Eine Vorstellung ist nicht
das Leben, führt dich weg vom Leben,
kann Teile von dir töten. Unsere Welt
ist voll mit Halbtoten.
In der direkten Erfahrung bist du
lebendig, beziehst alles mit ein.
Deinen Verstand. Deinen Körper.
Deine Seele. Ich glaube, deshalb
leben wir. Sonst könnten wir unsere
Gehirne schöne bunte Leben
konstruieren lassen.
Doch ohne unsere Gefühle und
Empfindungen würden unsere
Gehirne vertrocknen. Diese
konstruierten Leben würden immer
starrer werden, gleichzeitig immer
extremer, schwarz oder weiß, gut oder
böse, Sein oder Nichtsein. Dann die
letzten Zuckungen der Gehirne, sie
berechnen ihr Schicksal, sie wehren
sich mit letzter Kraft, auch sie wollen



endlich mal etwas erleben....
Und dann? Was passiert dann, jetzt braucht es schon etwas mehr Dramatik. Vielleicht
ein Holocaust?
Vielleicht brauchen Menschen Kriege, weil
sie auf einer unbewussten Ebene den Weg
ins lebendig sein über das Leiden suchen.
Oder wir müssen alle Gefühle, die wir
versuchen zu vermeiden, durch unsere
Erfahrungen kennen lernen. Und das so
lange, bis wir fähig sind auch diese
Gefühle in uns zu integrieren, um
einfach sagen zu können:
„Ich bin ein Mensch, nichts menschliches
ist mir fremd.“
Für Menschen wie mich, die das große
Leiden, das ein Krieg mit sich bringt, nicht
kennen, ist es bewusstseinserweiternd so ein Buch mitfühlend, atmend und mit
offenen Herzen zu lesen.

                                Ingrid Huch-Hallwachs




  „Der Fliegenfänger“
von Willy Russell

ISBN: 345386428X

Nennen wir ihn Morrisey. Er könnte
auch Jim Morrison Heißen, oder Brad
Pitt. Aber Brad Pitt ist Schauspieler.
Raymond steht auf einen Rockstar. In
diesem Fall heißt er eben Morrisey.
Und das hat seine guten Gründe, denn
Morrisey war der Sänger und
Songschreiber von The Smiths.
Kennen Sie nicht? Macht auch nichts.
Raymond mit seinen 19 Jahren benutzt
Morrisey auch als Waffe. In Notwehr:
Gegen Leute, die Kassetten von Phil
Collins auf dem Armaturenbrett liegen
haben, ist Raymond allergisch. Um
sich über wichtige Dinge zu
verständigen, brauch er jemanden, der
es ehrlich meint, jemanden, dem an
der Wahrheit liegt. Wegen Morrisey –
eher sogar für ihn – hat Raymond
Gitarre spielen gelernt. Und Songs
texten, überhaupt:


Schreiben. Dazu schleppt er ein dickes
Heft mit sich herum, wo er Texte
festhält. Und Briefe schreibt, Briefe an
Morrisey.
„Lieber Morrsey“, fängt denn auch das
Buch und jedes weitere Kapitel an.
Und wer sich darauf einlässt, erfährt
nicht nur so ziemlich alles über die
Bedeutung von Stars in einem
Kinderleben, sondern wird nach 500
Seiten nach Luft schnappen und
staunend feststellen, dass er gerade
einen Klassiker gelesen hat. Hier
spielt ein Zeitgenosse in der ersten
Schriftstellerliga.“ Die englische
Version der Blechtrommel“, jubelte die
„Sunday Times“ in London. Der
Vergleich liegt nahe, aber so ganz trifft
er`s doch nicht. Willy Russells „Der
Fliegenfänger“ erinnert einfach an das
Beste, was jeder jemals gelesen hat –
irgendwo zwischen „Der Fänger im
Roggen“ und der „Unendlichen
Geschichte“, dabei so meisterhaft
konstruiert wie die Romane von John
Irving. Und bei aller Tragik des

erzählten Teenagerlebens zum
Schreien komisch. Etwa wenn Raymond
sich zum ersten Mal traut, vor anderen
Menschen zu singen und zu spielen: Da
trägt er einem Ausflugsbus voller Mitglieder
des Einzelhandelsverbandes ausgerechnet
„Shoplifters of the World Unite“ vor,
Morriseys Hymne auf den Ladendiebstahl.
Wenn Willy Russell nicht schon als
Theater- und Drehbuchautor ein Star wäre,
würde er mit seinem ersten Roman einer
werden.
Gegenwart ist aufregend.

                                              Hans Pfitzinger

"Auf der Welt gibt es nichts, was weicher ist
als Wasser. Doch um Hartes und Starres zu
bezwingen, kommt nichts diesem gleich.
Dass das Schwache das Starke besiegt,
das Harte dem Weichen unterliegt - jeder
weiß es, doch keiner handelt danach"

(Laotse)
 










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